Traditioneller Montafoner Sura Kees

Traditioneller blühender Käse

 

Glaubt man dem Fachlexikon „Oxford Companion to Cheese“, dann verdanken die Österreicher den Käse Wirtschaftsflüchtlingen aus der Schweiz. Während des 30-jährigen Kriegs versorgten Senner aus dem kleinen, neutralen Land sämtliche europäische Heere mit fettem Bergkäse – nach Kriegsende wurden sie plötzlich nicht mehr gebraucht. Auf der Suche nach neuen Arbeitsmöglich- keiten wanderten sie auch nach Vorarlberg aus – und brachten dabei die Technik des Labkäsens mit. Sie zeigten den einheimischen Bauern, wie man aus vollfetter Milch, etwas Zeit und einem Stück Kälbermagen eine Köstlichkeit, fast so nobel wie Wein, zaubern konnte. Eine Käserevolution folgte.

Traditioneller Montafoner Holzzuber

 

Bis dahin war im alpinen Österreich eine Käseart dominant, die heute fast verschwunden ist: der Sauerkäse. Vom Graukäse in Tirol über den Steirerkäse, den Glundener Käse in Kärnten bis hin zum Sura Kees aus dem Vorarlberger Montafon ist die Sauerkäserei eine der ältesten Kulturtechniken des Alpenraums. Die erste schriftliche Erwähnung des Montafoner Sura Kees etwa stammt bereits aus dem Jahr 1240. Wo der Ursprung
der Technik liegt, ist unbekannt – allen gemeinsam ist aber ihre Geschichte: Sauerkäse war ein Notprodukt, das aus Mager-
milch hergestellt wurde, weil die Bauern den Rahm ihrer Milch an die Obrigkeiten abliefern mussten.

Käsker – Käseform

 

Junger Sura Kees ist säuerlich, mild-aromatisch und hat eine schnittfeste Konsistenz. Reifer Sura Kees ist trotz seines geringen Fettgehaltes hingegen ein Biest: Er besitzt eine „Muffa“, eine speckige, goldgelbe bis rötlich-braune Oberfläche, im Inneren ist er weiß bis hellgelb. Er hat einen pikanten, säuerlichen Geschmack, der mit dem Grad der Reife immer intensiver wird, und irgendwann stark an alte, nasse Socken aus Hundehaar erinnert. Das kann man mögen oder nicht, es ist jedenfalls einzigartig – der Sura Kees hat sich eine Renaissance verdient.
Auf einer Handvoll Alpen im Montafon wird der Surer Kees noch traditionell hergestellt. Zu Beginn des Alpsommers setzen die Bauern eine Starterkultur an: Sie geben frische Rohmilch zusammen mit Brunnenkresse und Schwarzbrot in einen Holzzuber – bei richtiger Handhabung und passender Temperatur vermehren sich so die notwendigen Milchbakterien – die Grundlage für die Sauerkäseproduktion für den ganzen Sommer. Dieser Prozess ist nur einmal notwendig: Ein erfahrener Käser kann so die Bakterien und Hefekulturen für die ganze Alpsaison in seinem Holzzuber speichern. Sollten während der Alpsaison Probleme auftreten, dann hilft man sich gegenseitig und holt sich die Milch aus dem Zuber einer anderen Alp, um wieder das richtige Milieu hinzubekommen.

Gut gelaunter Senn.

 

Die Herstellung des Käses läuft dann so: Die frische, warme Milch wird in sogenannte „Brenta“, flache Holzgefäße, gefüllt, wo sich der Rahm an der Oberfläche sammelt und abgeschöpft wird. Anschließend kommt die entfettete Milch in den beimpften Zuber, wo der Käser die Bakterienkulturen ihre Arbeit tun lässt, bis der gewünschte Säuregrad erreicht wird. Wie lang das dauert, hängt von der Wärme bzw. Witterung ab. Die saure Milch kommt in den Sennkessel und wird sehr langsam und schonend auf 40°C erwärmt, wodurch sich der „Schotta“ (=Molke) von der „Bolma“ (=Käsebruch) trennt. Sobald der Bruch die richtige Festigkeit aufweist, wird er in die „Käsker“ (Käserform aus Holz) gefüllt. Dort ießt die restliche Molke ab, nach einem Tag und mehrmaligem Wenden kommt der Käse aus der Form und wird gesalzen und oft auch mit Paprika eingerieben.
Dass die Milchbehälter beim Käsen durchwegs aus Holz sind, hat einen guten Grund: Die Verbindung aus Holz und Käse hat jahrhundertelange Tradition im Alpenraum. Vom Gailtaler Almkäse – wo sogenannte Holzstrotzen verwendet wurden – bis zum Schweizer Alpkäse war Holz als Gefäß für die Milch üblich. Anders als Nirosta-Stahl oder Plastik wird das lebendige Material von genau jenen Mikroorganismen besiedelt, die für den Geschmack und die Haltbarkeit von Käse wichtig sind – allen Hygienevorschriften zum Trotz ist es daher mit Holz leichter, guten, gesunden Käse zu machen. Gehalten hat sich diese Kultur allerdings ausschließlich in Vorarlberg. So, wie beim Montafoner Sura Kees Zuber und Brenta verwendet wird, kommt etwa beim Vorarlberger Bergkäse die sogenannte „Gepse“ zum Einsatz.

Ausblick von der Sennalpe.

 

Warum der Sura Kees ausgerechnet mit Paprikapulver gewürzt wird, ist nicht ganz klar. Wahrscheinlich wurde der Paprika ursprünglich eingesetzt, um das Ungeziefer – vor allem Fliegen – fernzuhalten. Die Erklärung scheint zumindest plausibel, da Fliegen ja wirklich kaum vom Sura Kees wegzubringen sind. Die Tiroler setzten mit ihrem Sauerkäse, dem Graukäse, früher auf eine andere Methode gegen das Ungeziefer: Der Käse wurde direkt über dem Herd aufgehängt, weswegen ein rauchiger Geschmack typisch war.
Traditionell wurde und wird der Montafoner Sura Kees in der Dreistufenlandwirtschaft hergestellt: Im Herbst und Winter sind die Tiere am Bauernhof im Tal, im Früh- und Spätsommer auf dem „Maisäß“ (einer tiefer gelegenen Alm bzw. Alpe) und im Sommer auf der Alpe. Die Montafoner Landwirtschaft ist kleinststrukturiert: Die Familien besitzen oft nur ein paar wenige Kühe, Sura Kees wird daher oft nur für den Heimgebrauch und die Nachbarn erzeugt. Das Maisäß (=Vorsäß) und die Alp werden gemeinschaftlich betrieben: Ein Senner betreut über den Sommer die Kühe von mehreren Familien, während diese im Tal die Felder bewirtschaften. Im Herbst erhalten die Bauern dann im Herbst anteilig ihren Sura Kees.

Das Käselager.

 

Besonders interessant ist der Sura Kees, wie alle Sauermilchkäse des alpinen Raumes, als saure Zutat zum Kochen. Im Montafon werden daher die Vorarlberger Käsknöple nicht mit Bergkäse und Rässkäse, sondern mit Bergkäse und Sura Kees zubereitet – der Autor selbst empfiehlt eine Mischung aus reifem Bergkäse, Rässkäse und Sura Kees. Norbert Niederkofler – ein Meister der alpinen Küche – überzeugte zuletzt auf dem Salone del Gusto in Turin mit einem Risotta mit Graukäse – leicht, cremig, säuerlich – perfekt! Das sollte auch mit Sura Kees gehen.

Renate Sandrell aus Tschagguns versucht, das Beste aus beiden Welten zu verbinden, und macht Vollmilch-Sauerkäse. In der kleinen Hofkäserei wird die Milch von ein paar wenigen Kühen vom eigenen Hof (Montafoner Braunvieh) verarbeitet, und das – entgegen der (schriftlich dokumentierten) Tradition – mit dem vollem Fettgehalt der Milch. Sie hat sich damit im Montafon einige Feinde unter Traditionalisten gemacht – auch aus dem Grund, da Sauermilchkäse in Österreich als Käse aus entrahmter Milch definiert wird. Blöd nur, dass der Käse ziemlich gut daherkommt. Der typisch säuerliche Geschmack zusammen mit der cremigen Konsistenz hat was für sich und überzeugt auch Genießer, die Sauermilchkäse sonst nicht so sehr schätzen.

Glaubt man dem „Oxford Companion to Cheese“ übrigens nicht, dann fragt man sich, warum die Vorarlberger Bauern im 17. Jahrhundert auf einmal aufgehört haben sollen, das Fett von ihrer Milch abzuliefern. Oder warum ein so wichtiges Wissen wie jenes vom Käsen vor dem 30-jährigen Krieg an einer Grenze haltgemacht haben soll. Aber das ist eine andere Geschichte.

Text & Fotos: © slow.at / Stephan Gruber

Dieser Artikel ist im – ALL YOU CAN EAT #2 – FREMD Magazin – erschienen.

Links:

kaes.at in Wien – kaes.at
Alpe Garnera
Sura Kees auf der Slow Food Arche des Geschmacks

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